Norbert Trenkle
Die angebliche Effizienz der kapitalistischen Produktionsweise beruht ganz wesentlich darauf, alle negativen Effekte auf verschiedene Weise zu externalisieren und damit die wirklichen Kosten für Natur und Gesellschaft auszublenden. Diese systematische Externalisierung resultiert aus der Verselbstständigung der Reichtumsproduktion gegenüber den Menschen und gegenüber dem gesellschaftlichen Zusammenhang, den sie zu ihrem „Außen“ mache. Als gesellschaftlicher Reichtum wird in der kapitalistischen Gesellschaft nur der abstrakte Reichtum anerkannt, also das, was sich als „Wert‟ in den Waren darstelle. Hierin liegt der tiefere Grund für die fortschreitende Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die Geringschätzung aller nicht-warenproduzierenden Tätigkeiten und die rücksichtslose Ausplünderung des Globalen Südens. Die Vorstellung, es könne einen „nachhaltigen Kapitalismus‟ geben, ist daher haltlos.
Norbert Trenkle
Jan Rickermann
Leben in einer unbrauchbar gewordenen Welt
Aufgrund der extremen Ungleichheit bei der Teilhabe an der gegenwärtigen Zerstörung der Erde sowie dem damit verbundenen Leid wurde vorgeschlagen, das Erdzeitalter nicht als Anthropozän, sondern als Kapitalozän zu begreifen. Unberücksichtigt bleibt hierbei ein zentraler Einwand, den Marx gegen das Kapital vorbrachte: Der Mensch herrscht nicht über die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern wird von diesen beherrscht. So finden wir zwar eine Produktion vor, die „nicht bloß an der Erde kratz, scharrt und pflückt, sondern sie wirklich verändert“ (Pohrt), dennoch ist nicht der Mensch Subjekt dieses Prozesses, sondern muss es erst werden. Der Begriff Anthropozän wäre so verstanden gar ein anzustrebender Zustand, in dem die Menschen zum ersten Mal in der Lage sind, autonom über den Reichtum zu verfügen, und die Natur unter rationale Herrschaft stellen.
Pohrts Überlegungen in seinem Werk Theorie des Gebrauchswerts kreisen um die Überlegung, dass das Kapital einen emanzipatorischen Gebrauchswert hat, hierbei geht er auch auf das derzeit diskutierte Verhältnis von Mensch und Natur bei Marx ein. Die Trennung zwischen diesen stellt jedoch keineswegs einen Verfall einer zuvor heilen Ordnung dar, sondern schafft im Gegenteil erstmals die Bedingung, eine universelle Befreiung denken zu können. Denn nach Pohrt – dies drückte seine Beschäftigung mit dem (emanzipatorischen) Gehalt des Begriffs Gebrauchswert aus – bot das Kapital die Möglichkeit der „Antizipation richtiger gesellschaftlicher Verhältnisse der Menschen untereinander und zur Natur“. Eben dies wäre die Bedingung für die Versöhnung von Mensch und Natur, dafür, die Erde „den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen“ (Marx). Pohrts im Nachhall der Protestbewegung formulierte Schrift gibt aber gleichzeitig Auskunft über den möglichen Zerfall dieses Gebrauchswerts. Die Welt des endlosen Endes vom Kapitalverhältnis ist den Menschen kaum noch als „Domäne ihres Willens“ (Marx) erkennbar, sie nimmt „allmählich die Gestalt völliger Unbrauchbarkeit für die Menschen“ (Pohrt) an. Nach Pohrt entwickle sich das Kapital in eine Richtung, die seine Potentiale, seinen historischen Gebrauchswert, kassiert. Eben dies ist ein Problem für Protest. Dieser kann sich so kaum noch auf eine noch zu verwirklichende, aber bereits in den Verhältnissen angelegte Vernunft berufen.
Die gegenwärtige Klimakrise scheint sogar nahezulegen, dass eher das Ende der Welt als die Befreiung auf der Tagesordnung steht und damit die mit dem Kapital erzeugten Möglichkeiten als Irrtum erscheinen müssen. Das Kapital wäre dann als bloßes Destruktionsmittel auf den Begriff gebracht. Blickt man in die Schriften gegenwärtiger „radikaler“ Kritik, so scheinen sie Pohrts Diagnose vom Zerfall des Gebrauchswerts und vom Unbrauchbarwerden der Welt recht zu geben. Protest in einer „Welt in Flammen“ (Malm) droht, einzig polit-existentialistisch gedacht werden zu können.
Jan Rickermann
Enrico Pfau
Der doppelte Naturbegriff und das Naturmoment im Kapital
Warum Naturalisierung von Gesellschaft und Spiegelung von Gesellschaft in der Natur Hand in Hand gehen, muss mit dem doppelten Naturbegriff reflektiert werden, in dem einerseits der Mensch in Gegensatz zur Natur und andererseits die menschliche Natur gedacht wird. Die Natur als Gegensatz zum Menschen gedacht, ist dann all das, was der Mensch nicht gemacht hat und was sich ohne sein zutun von selbst vollzieht. Schon in der Antike wurden durch Abstraktion Begriffe wie Hyle und Autopoiesis gebildet, die diese besondere, vom Menschen unabhängige Stofflichkeit und Selbstbewegung sowie Selbstherstellung der Natur ausdrücken. Darin ist auch der der Begriff der Natur als Wesen einer Sache angelegt. Diese Begriffe sind nicht an konkrete Gegenstände gebunden und vermeiden die oft gemachte Verwechslung der Natur mit Wildnis.
Doch was der Mensch nicht gemacht hat und sich ohne sein zutun vollzieht, muss durch die Menschen erst erkannt werden. Zudem ist zu unterscheiden, was dem einzelnen Menschen und dem Maßstab der Gattung nach als Natur erscheint. Auch die durch die Menschen hervorgebrachten Verhältnisse können von den Einzelnen als Natur wahrgenommen werden. Daraus erhellt, wieso wiederum die Natur des Menschen als sein Wesen zugleich als nicht gemacht und doch als noch zu verwirklichendes erscheinen muss. In einer jeweils einseitigen Fassung dieses Problems fungiert die Natur so entweder als Maßstab der Kritik der menschlichen Gesellschaft oder als ihre Rechtfertigung. Natur wird selbst naturalisiert. Im versöhnten Sinne kann dagegen die Menschheitsgeschichte als ein Herausarbeiten des Menschen aus der Natur und zugleich als Vollendung seiner eigenen Natur in der freien Vergesellschaftung der individuellen Subjekte betrachtet werden, die die Wahrheit der lebendigen Substanz sind. Insofern kann der Mensch als Reflexionsform der Natur gedacht werden, in der die Natur im Gegensatz mit sich selbst zu sich selbst kommt.
Diese Versöhnung bleibt aber idealistisch, wenn sie sich an die Stelle der wirklichen Entwicklung setzt oder die Versöhnung als bereits verwirklicht ausgibt. Die Wirklichkeit des menschlichen Wesens entwickelt und vollzieht sich unter historischen Umständen, die einerseits von den Menschen nicht immer frei gewählt und trotzdem Ausgangspunkt für die menschliche Kraftentwicklung sind. Diese Kraftentwicklung ist aber keine allgemeine, wenn sie durch Herrschaft vermittelt ist. Zwar musste und muss die Natur erst so eingerichtet und angepasst werden, damit sie menschliche Zwecke fördert, aber der bestimmte, wirkliche Umgang mit der Natur hängt von den Herrschaftsverhältnissen ab, die die Menschen untereinander bewusst oder bewusstlos reproduzieren. Der Herrschaft durch das Kapital entspricht ein Umgang mit der Natur als bloß zu beherrschendes Material, während in persönlichen, besonders familiär oder der Abstammung nach gedachten Herrschaftsverhältnissen die Naturwüchsigkeit als Autorität gilt. Aber nicht nur im letzteren auch in ersteren Fall wird Natur, der der Mensch entrinnen wollte, als gesellschaftlich produziertes Verhältnis wiederholt. So wäre alle bisherige Menschheitsgeschichte nicht einfach Geschichte gegen die Natur, sondern auch Naturgeschichte des Menschen. Im Kapital ist die Freiheit der individuellen Subjekte vorausgesetzt und zugleich negiert. Das Kapital enthält die menschliche Natur, die Freiheit, in verkehrter Gestalt. Es ist insofern die vollendete zweite Natur als entfremdete Natur des Menschen.