kongress klimawandel
und gesellschaftskritik

Panel 12 Konsum und Klasse

Moderation: Ronja Rossmann

sonntag

10:00 - 13:00

hörsaal 2

 

1

Johannes Greß

Kapitalismus und Opposition in Zeiten der Klimakrise – ein ideologietheoretischer Annäherungsversuch mit George Clooney

Die Herausforderung, vor welcher wir gegenwärtig stehen, ist, dass diese Art der gesellschaftlichen Reproduktion sozial und ökologisch in höchstem Maße destruktiv ist. Die Aufrechterhaltung bestehender Macht- und Herrschaftsstrukturen auf Basis eines ständig wachsenden Konsumniveaus beruht auf der Ausbeutung von Menschen (im Globalen Süden wie im Norden) sowie auf der Ausbeutung von Natur (Ressourcenausbeutung, Müllproduktion, chemische Vergiftungen, …). Um die ökologische Destruktivität dieser „imperialen Produktions- und Lebensweise“ (Brand/Wissen) wissen wir in Ansätzen seit über 150 Jahren. Heute zeigen uns Berichte wie jene des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erschreckend detailliert das Ausmaß der Katastrophe. Die Frage, die sich daran anschließt: Warum handeln „wir“ nicht dementsprechend? Warum beschränken sich Bearbeitungsmodi der ökologischen Krise meist auf kosmetische Eingriffe?
Die derzeitig zu beobachtenden Bearbeitungsmodi der ökologischen Krise legen eine grundlegende Überarbeitung von Marcuses Ideologiebegriff nahe, wonach es sich bei Ideologie um „falsches Bewusstsein“ handele. Ein solcher Ideologiebegriff würde mit Blick auf die derzeitige ökologische Krise implizieren: Wir zerstören die Umwelt, weil wir es nicht besser wissen.
Entgegen einem solchen Ideologieverständnis lautet die These, die ich entlang der Nachhaltigkeitskampagne von Nespresso entwickeln möchte: Wir wissen, was wir tun, und wir tun es trotzdem. Die Behauptung Nespressos, dank ihres eigens entwickelten Recycling-Konzepts könne jede Kapsel Kaffee einen „positiven Beitrag“ zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz liefern, legt eine Rekonzeptualisierung von Marcuses Ideologiebegriff entlang der heuristischen Achsen „kapitalistische Reproduktion“, „Hegemonie“ und „Unbewusstes“, nahe. So verstanden erfüllt Konsum eine ökonomische (Mehrwertproduktion), ideologische (materielle und symbolische Teilhabe der Subalternen/Hegemonie) und psychologische Funktion (Unbewusstes).
Ein so konzipierter Ideologiebegriff erlaubt es schließlich, „grünen Konsum“ als individualisierend-entpolitisierende und verleugnend-entpolitisierende ideologische Diskursformation zu fassen, welche weniger einer adäquaten Bearbeitung der ökologischen Krise als vielmehr der Aufrechterhaltung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse dient.

Johannes Greß

→ zur Person

2

Hans Rackwitz

Der ökologische Gesellschaftskonflikt als Klassenfrage

Die Dramatik der globalen Klimakrise bestimmt zunehmend auch die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen. Die Umweltkrise hat gesellschaftliche Ursachen, wird gesellschaftlich verhandelt und birgt enormes soziales Konfliktpotential. Die globale Umweltkrise gilt vielen als Problem der Menschheit; als Konflikt zwischen reichem Globalen Norden und armen Globalen Süden oder als Widerspruch zwischen ökologisch ignoranten und bewussten Konsument:innen. Entgegen solcher Vorstellungen argumentiert der Vortrag, dass der ökologische Gesellschaftskonflikt als Klassenfrage verstanden werden sollte. Es wird dargelegt, inwieweit die ökologische Frage auf den Ebenen der politischen Ökonomie, der Verteilung von Lebenschancen und sozial-ökologischen Konfliktdynamiken einen Klassencharakter hat.

Hans Rackwitz

→ zur Person

3

Mathias Beschorner

Postwachstumsideologie als Alltagsreligion und Distinktionsbedürfnis

Im Vortrag wird die Postwachstumsideologie ideologiekritisch betrachtet und verdeutlicht, warum das Diktum vom Schrumpfen der Produktion hinter kapitalistische Vergesellschaftung zurückfällt. Zugleich wird gezeigt, dass sich darin ein Distinktionsbedürfnis gegenüber den arbeitenden Klassen äußert und hohe Anschlussfähigkeit für die politische Rechte besteht. So beziehen sich zentrale Figuren der Neuen Rechten wie der Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen oder auch Björn Höcke affirmativ auf Niko Paech. Postwachstumstheoretiker wie Niko Paech sind in Wissenschaft und Politik breit vernetzt und auch in linken Kreisen beliebt. Die große Transformation ist aber nicht bloß Expertenaufgabe, sie bedarf einer Kulturrevolution von unten und einem neuen Menschenbild. Die angesprochenen Subjekte sehen sich mit einer Melange aus Verzichtsethik und malthusianischer Übervölkerungsfantasie konfrontiert, scheinen jedoch gern bereit die abgeleiteten Forderungen individualistisch, als sinnstiftende Alltagsreligion für den Hausgebrauch praktisch werden zu lassen. So erfahren sie die vermeintliche Wirkmächtigkeit ihrer Überzeugungen gemäß einer wohlfeilen Konsumkritik beim morgendlichen FairtradeKaffee in einem Wechselspiel aus Schuldgefühl und moralischer Überlegenheit.
Eine materialistische Perspektive muss sich dem Problem der ökologischen Krise annehmen und nach Antworten suchen, wie eine postkapitalistische Vergesellschaftung sich der Produktivkräfte und Automation sowie Massenproduktion bedienen könnte, ohne den Planeten zu zerstören. Hinsichtlich der Postwachstumsideologie gilt jedoch das Diktum Theodor W. Adornos: Ist das Falsche, einmal bestimmt erkannt und präzisiert, [ist es] bereits Index des Richtigen, Besseren“.

photo_2022-03-23_21-37-46

Mathias Beschorner

→ zur Person