Jennifer Stevens
Weltuntergangsphantasien: Zum romantischen Erbe moderner Apokalyptik
No Nature, No Future – Der „Weltuntergang“ ist und bleibt omnipräsent. Er ist es auch in der Klimabewegung, an der zeitgenössische Beschäftigungen mit der Apokalyptik nicht vorbeikommen. In Anbetracht der umfassenden Naturzerstörung und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen scheint kaum eine Frage umstrittener als diejenige, ob man es bei Greta Thunberg nur mit einer zornigen Apokalyptikerin oder doch einer mahnenden Visionärin zu tun hat. Dagegen will der folgende Vortrag zeigen, dass die Vorstellung vom „Ende der Welt, wie wir es kennen“ kein spätmodernes Phänomen des 20. oder 21. Jahrhunderts ist, sondern seine Geschichte bis in die historische Romantik zurückreicht. Schlaglichtartig soll anhand von literarischen Beispielen des hier verhandelten Mensch-Natur-Verhältnisses das romantische Erbe in einer zivilisationskritischen Apokalyptik diskutiert und erste Kontinuitäten wie Diskontinuitäten zu heutigen Krisenreaktionen angerissen werden.
Jennifer Stevens
Alexander Neupert-Doppler
Hinter diversen Äußerungen zur Klimakrise scheinen geschichtsphilosophische Grundannahmen auf: Rechte Leugner*innen des menschengemachten Klimawandels bringen gerne das Bild eines natürlichen Kreislaufs ins Spiel, in dem sich planetare Heiß- und Kaltzeiten abwechseln würden. Öko-Liberale stellen sich die Klimaerhitzung als kontinuierliche Entwicklung vor, die durch technischen Fortschritt beherrschbar werden würde. Dagegen ist die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins zu erinnern:“Vielleicht sind Revolutionen der Griff […] nach der Notbremse“.
Kann die Klimabewegung in der objektiven Krise das kritische Potential aufbauen, um das verbleibende Zeitfenster als Kairós zur Veränderung zu nutzen? Notwendig dafür wäre, so die zu entfaltende These, eine kairologische Auffassung von Geschichte, wie sie Benjamin definiert: „Die Katastrophe = die Gelegenheit verpasst haben“.
Dr.
Alexander Neupert- Doppler
Alexandra Schauer
Lokomotive der Geschichte oder Notbremse? Zum Zeitbewusstsein politischer Bewegungen
»Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte«, bemerkt Karl Marx in seinen Analysen der Klassenkämpfe in Frankreich. Er verleiht damit einem neuen Zeitbewusstsein Ausdruck, das so nur ein Jahrhundert zuvor nicht denkbar gewesen wäre. Auf den Begriff gebracht wurde es durch die Idee des Fortschritts, der durch das Handeln der Menschen hervorgebracht werden soll. Fragt man nach der gesellschaftlichen Trägerschicht dieses Zeitbewusstseins, so ist diese zunächst im Bürgertum, sodann in der Arbeiterbewegung zu suchen. Beide wollen – wie bereits die Titel ihrer Zeitschriften verkünden – Vorwärts in eine Neue Zeit. Von dieser gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung ist zwei Jahrhunderte später nur wenig übriggeblieben. Was gesamtgesellschaftlich als Aufstieg eines »Emergency Imaginary« (Craig Calhoun) innerhalb der spätmodernen »Risikogesellschaft« (Ulrich Beck) beschrieben worden ist, nimmt in den neuen sozialen Bewegungen die Gestalt einer spätmodernen Apokalyptik an. Mit ihrer religiösen Vorgängerin verbindet sie die Vorstellung des Weltenendes als Naherwartung. Von dieser trennt sie, dass die Erlösungshoffnung zunehmend in den Hintergrund tritt. Es handelt sich um eine Apokalyptik ohne »neue Zeit«. Dass wirkt sich auch auf die politische Situationsdeutung aus. Einerseits erscheint politisches Handeln in einer solchen Situation als ein negativer Aktivismus, dessen Ziel die Verhinderung des noch Schlimmeren ist. Anderseits wird die Möglichkeit einer ganz anderen Einrichtung der Gesellschaft immer weniger in Betracht gezogen. Wenn Revolutionen in einer solchen Konstellation überhaupt noch vorkommen sollten, wären sie mit Walter Benjamin eher als »der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse« anzusehen.
Der Vortrag nimmt diesen radikalen Wandel des Zeitbewusstseins politischer Bewegungen, die sich als progressiv und emanzipatorisch verstehen, zum Anlass, um zwei miteinander verwobenen Fragen nachzugehen: In einem ersten Schritt wird nach den sozialstrukturellen Voraussetzungen gesellschaftlicher Zeitvorstellungen gefragt, wobei insbesondere die Entstehung und Transformation kapitalistischer Vergesellschaftung in den Blick genommen wird. In einem zweiten Schritt wird die Rolle politischer Bewegungen thematisiert: Sind sie Treiber oder Getriebene gesellschaftlicher Veränderungen? Werden diese von ihnen kritisch reflektiert oder bewusstlos perpetuiert? Oder gilt beides zugleich? Im Fokus steht folglich das für den historischen Materialismus zentrale Verhältnis zwischen Ökonomie und Politik.
Dr.
Alexandra Schauer
Robin Forstenhäusler und Askan Schmidt
Überleben als Utopie: Über die gesellschaftlichen Schranken des Zukunftsbewusstseins
Jeder kennt wohl den Schlachtruf von Fridays For Future: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Und jeder versteht, was damit gemeint ist, nämlich dass der Klimawandel die Lebensgrundlagen der Menschheit bedroht.
Es mag so scheinen, als ob mit dieser Zukunftsorientierung der Klimabewegung das utopische Bewusstsein nach seinem vielbeschworenen Ende eine Rückkehr erlebe. Doch kündigt sich schon in der geäußerten Sorge um „die Zukunft“ eine auffällige Unbestimmtheit an. Die Suggestionskraft dieser Forderung wird – so die These des Vortrags – nicht zuletzt daher stammen, dass die Frage nach dem richtigen Leben hinter der nach dem Überleben verschwindet.
Um diesen Zusammenhang aufzuklären, soll zunächst allgemein der Begriff der Zukunft auf gesellschaftliche Gegenwart rückbezogen werden, um Probleme und Schranken utopischen Bewusstseins aufzuzeigen. Anschließend werden diese Überlegungen anhand von qualitativen Interviews mit Aktivisten der Klimabewegung konkretisiert.
Robin Forstenhäusler & Askan Schmidt