kongress klimawandel
und gesellschaftskritik

Panel 9 Staat und Politik

Moderation: Andreas Stahl

samstag

16:30 - 19:30

Hörsaal 3

 

1

Ricardo Kaufer

Klimaanpassung und Klimapolitik in der Staatstätigkeitsforschung, kritisch-materialistische Staats- und Politiktheorie und die Notwendigkeit der Kapitalismusanalyse

Defizite in der Umsetzung effektiver Klimapolitiken resultieren aus der Abhängigkeit des Staates von der gelingenden Kapitalakkumulation der Unternehmen und der Verweigerung diesem Zwang effektiv entgegenzutreten. In der politikwissenschaftlichen Forschung zur Klimapolitik und zur Klimaanpassung dominiert die GovernancePerspektive mit ihrer Fokussierung auf Problemlösungen (vgl. Weiland 2017). Mit dieser Perspektive können wichtige Erklärungen für die Politiken der Klimaanpassung in unterschiedlichen politischen Systemen generiert werden (Biesbroek/Lesnikowski 2018; Luterbacher/Sprinz 2018). Allerdings fehlt dieser politik-
theoretischen Perspektive trotz der fundierten Analysen der Bedeutung von Akteurinnen1 , Präferenzen und Institutionen im Rahmen der Formulierung und Implementation von Klimaanpassungspolitiken eine Auseinandersetzung mit der politökonomischen Abhängigkeit moderner Fiskalstaatlichkeit von den Akkumulationsmodellen des nationalen Kapitalismustypus. An dieser Stelle setzt der angestrebte Beitrag an. Zunächst werden deshalb die Ergebnisse zur Klimaanpassung vom Standpunkt der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung sowie der GovernanceForschung und der Politikfeldanalyse vorgestellt und diskutiert (vgl. u.a. Biesbroek/Lesnikowski 2018; Jahn 2016). Anschließend wird die Perspektive der kritischmaterialistischen Staats und Politiktheorie auf nationale Klimaanpassungspolitiken skizziert (vgl. Angus 2016; Kannankulam/Georgi 2014; Moore 2016; Wissel/Kannankulam/Georgi/Buckel 2014) und mit den Ergebnissen der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung und der Politikfeldanalyse verglichen. Im Vergleich der theoretischen Perspektiven zeigt sich, dass die besondere Fokussierung auf den dominanten Einfluss des nationalen Akkumulationsmodells in der kritischmaterialistischen Staats und Politiktheorie in besonderem Ausmaß erklären kann, wie es zu den Unterschieden in den nationalen Ansätzen der Klimaanpassung und zu den Defiziten der Klimapolitik kommt. Mit dieser theoretischen Perspektive soll einerseits die Notwendigkeit der Zusammenführung der Kapitalismusanalyse mit der Politikfeldanalyse zur Klimaanpassung und Klimapolitik betont und andererseits für eine Reinterpretation der Ergebnisse zur Klimaanpassungsforschung geworben werden, da Klimaanpassung trotz der Bedeutung der Präferenzen politischer Akteurinnen und der Institutionen des politischen Systems insbesondere vom Entwicklungsstand nationaler Kapitalismen abhängt. Damit können politiktheoretische Verkürzungen vermieden und realistische Einschätzungen zu den Erfolgsaussichten der Klimaanpassung und Klimapolitik gewonnen werden.

Dr.

Ricardo Kaufer

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2

Uwe Kröcher

Warum eine Verkehrswende bislang nicht gelang? Konsequenzen aus der Verkehrspolitik von 30 Jahren Geisterfahrt

Die Durchsetzung einer sozial-ökologischen Transformation, die einerseits dem Klimawandel Einhalt gebieten kann, andererseits die sozialen Entfaltungsmöglichkeiten auch für untere soziale Klassen ermöglicht, ist keineswegs selbstverständlich. Besonders augenscheinlich wird dies an der Verkehrswende deutlich. In dem Beitrag, der die verkehrswissenschaftlichen und -politischen Diskurse seit der deutschen Widervereinigung analysiert, wird ausgeführt, dass die Verkehrspolitik der letzten 30 Jahre wider besseren Wissens um die gesellschaftlichen und ökologischen Kosten des motorisierten Individualverkehrs als eine Art Geisterfahrt betrieben wurde. Statt eine Politik einer notwendigen Verkehrsreduktion und eines Umstiegs auf den Umweltverbund wurde genau die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen, die auf ein Verkehrswachstum setzte mit dem Ausbau vom motorisierten Individualverkehr. Es wird begründet, dass eine Verkehrswende bislang an einer „Komplizenschaft aus Staat, Bürgern und Industrie“ (Canzler/Knie) gescheitert ist, die neben ökonomischen Interessen in der gesellschaftlichen Produktionsweise auch aus tief kulturell eingeschriebenen Verhaltensweisen resultiert. Daher sieht sich eine Verkehrswende nicht nur gegen Widerstände machtvoller Industriekonzerne ausgesetzt, sondern wird von allen sozialen Milieus und Schichten – selbst von den ökologisch aufgeklärten Milieus – wenn nicht abgelehnt dann zumindest kaum praktiziert. Die verschiedenen Dimensionen der Widerständigkeit einer Verkehrswende soll betrachtet werden, um daraus ableiten zu können, welche politischen Allianzen zur Durchsetzung einer Verkehrswende geschlossen werden müssen.

Dr.

Uwe Kröcher

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